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Wir sind stolz auf unser Team... |
Montag, 10. Juli, 23:25 Uhr, ich sitze im ICE 971 von Berlin nach Karlsruhe, zurück nach Mannheim...
Neben mir meine Freundin, in Vorlesungsstoff vertieft, im restlichen Abteil viele Fans, bestückt mit den Trikots und Flaggen diverser WM-Mannschaften, überall sitzen sie im Zug; mein Weg zum BordBistro kam mir vor wie eine kleine Reise durch die ganze Welt. Vorwiegend allerdings durch Italien und Frankreich...
Doch es ist der Montag, und wie man es aus dem Studentenleben kennt, so geht es auch dem gemeinen Fussballfan an diesem Montag: irgendwie ist der Alltag wieder da. Keine Bierflaschen klimpern, niemand stimmt mehr Fangesänge an, die meisten sind still, in sich oder in seichte Gespräche vertieft, viele auch völlig ermattet in den Schlaf entschwunden.
Zeitungen sehe ich viele wenn ich durch die Sitze nach vorne schaue; auch hier: italienische, französische, doch vor allem deutsche - doch alle haben eins gemein Zidane und das Finale allgegenwärtig, jedoch alle Sätze und Überschriften in Vergangenheitsform, kein Ausblick auf kommende Spiele mehr.
Die WM ist aus!
Alles vorbei, König Fussball und die Party, die schier endlos schien, sind mit den letzten Fans in diesem Zug auf der Heimreise, wohin auch immer.
Oder doch nicht?
Während draußen im Dunkel kleine Ortschaften zwischen Darmstadt und Mannheim vorbeihuschen, schemenhaft, spielt mein IPod ungefragt diese WM-Spieltagszusammenfassungen der Deutschen Mannschaft von der HipHop-Gruppe Blumentopf, die die ARD immer zum Ende ihrer Übertragung hin sendete.
Für jeden deutschen Sieg ein kleiner Song, alle chronologisch aneinandergereiht.
Vorrunde, Schweden, Argentinien,
..dann ist Schluss
.ich drehe unterbewußt die Lautstärke nach oben, schließe die Augen und lasse die wortreich beschriebenen Szenarien vor meinem inneren Auge Revue passieren.
Torjubel, feiernde Menschen, Fahnenmeere, der euphorisch-kindliche Klinsmann
.
Als der Refrain zum letzen Mal erklingt nach dem Argentinien-Beitrag, merke ich:
Ich habe kleine Tränchen in den Augen!
Wie schon Tags zuvor, und den Tag davor...
Rückblick:
Samstag, Deutschland spielt um Platz Drei, und man sieht den selben begeisternden Fussball der letzten Wochen, Portugal wird förmlich aus dem Stadion geschossen, man sieht gerührte Menschen nach dem Abpfiff, auf Seiten der hochbezahlten Spieler und Funktionäre wie auch bei den unzähligen Fans im Stadion.
Sonntag, 12:15 Uhr, die Mannschaft verabschiedet sich am Brandenburger Tor von "ihren" Fans, die nächsten Bilder, die mich den Tränen nahe bringen.
Und jetzt, einen Tag später, soll alles rum sein? Einfach so?
Das glaube ich nicht, und auch nicht 2 Tage später, am Mittwoch, an dem Jürgen Klinsmann, wieder nahe den Tränen (als ginge es gar nicht mehr anders) seinen Rücktritt aus persönlichen Gründen erklärt.
Was bleibt uns, was kann man mitnehmen aus einem Monat Fussball-Weltmeisterschaft in Deutschland?
Jürgen Klinsmann soll nun das Große Bundesverdienstkreuz bekommen. Doch für was? Weil Deutschland Dritter bei der WM im eigenen Land geworden ist, obwohl der Weltmeistertitel das ausgegebene Ziel war? Wohl nicht.
Viel mehr dafür, dass er mit seiner Mannschaft und seinem Stab, einer durch und durch eingeschworenen und homogenen Einheit, in Deutschland etwas "Neues" geschaffen hat, in vielerlei Hinsicht. Besondere Erwähnung verdient hierbei die Tatsache, dass der Truppe in den letzten 2 Jahren jeder nur erdenkliche Knüppel zwischen die Beine geworfen wurde, von allen Seiten, ohne Rücksicht auf Verluste. Und trotzdem sind sie ihren Weg gegangen, und auch wenn sie ihr Ausgangsziel nicht erreicht haben, wird ihnen aller Orts Respekt und Annerkennung gezollt, und sie werden beglückwünscht.
Weil sie sich nicht haben verbiegen lassen, sie konsequent ihren Weg gegangen sind, sich auf ihre Stärken verlassen haben und daran geglaubt haben.
Auf sportlicher Ebene ging davon eine unglaubliche Begeisterungsfähigkeit aus, die das ganze Land erfasste, alle Fussballfans, aber gleichwohl auch nahezu alle anderen Menschen.
Und davon kann man lernen, und dafür hat Klinsmann ganz sicher ein Bundesverdienstkreuz zu bekommen.
Sicherlich, die vieler Orts extensiv zur Schau gestellte Identifikation mit dem "neuen" Deutschland hat auch viele zweifelhafte Gründe bei verschiedenen Gruppen, so lassen sich Politiker gerne im Stadion fotografieren in der Hoffnung, der Glanz der Nationalmannschaft färbt auch auf sie ab, und natürlich sind die Gastronomen und Geschäftsleute nicht alle aus purer Selbstlosigkeit freundlich wie selten zuvor, sie machten dieser Tage das Geschäft ihres Lebens.
Aber sehen wir mal darüber hinaus, was sich hier bewegt hat, dann kommen mir wieder dieselben kleinen Tränchen in die Augen wie bei den Bildern der letzten Tage.
Das viel zitierte schwarz-rot-goldende Fahnenmeer, auf der Autobahn, in den Fußgängerzonen, an den Hauswänden, die friedlichen Feste quer durch die ganze Republik, man hatte Menschen umarmt, die man vorher nicht kannte, und hat man in dem dichten Gedränge mal jemand aus Versehen angerempelt, wurde nur freundlich gelächelt, ohne jede Aggression.
Und bei den Autokorsos durch die Städte viele deutsche Fans mit Flaggen und ausländischer Abstammung, und keiner wundert sich, keiner nimmt sie als besonders wahr.
Was ist Deutschland?
Man hört aus vielen Mündern, man könne wieder Stolz sein auf sein Land, und gleichermaßen zucken viele auch nach wie vor zusammen bei dieser, typisch deutsch, problematischen Formulierung.
Der Stolz, worauf auch immer, das wohl größte nationale Problem Deutschlands der Nachkriegsgeschichte, neu aufgerollt.
Wie kann man dieses Thema für alle "Parteien" nun, nach der WM, zufrieden stellend lösen?
Es muss ja möglich sein, denn die vielen Flaggen, auch nach dem Ausscheiden, die positive Stimmung zeigen ja nur allzu deutlich, dass die Deutschen, wir Deutsche uns bewegt haben.
Im Spiegel dieser Woche (10.07.2006) nimmt Joschka Fischer dazu Stellung, und seine Worte fassen dieses Problem völlig unproblematisch in einen entwaffnenden Satz zusammen:
"Wir sind ein wunderbares Land mit einer teils furchtbaren Geschichte!"
Dieser Satz hat sich in mein Gehirn gebrannt. Man kann vom dem ehemaligen Außenminister nun halten was man will, doch hier sehe ich keine Möglichkeit zum Widerspruch.
Im Ausland nimmt man der Deutschen wiedergewonnen Patriotismus nahezu durchweg positiv auf, wie die Pressespiegel aller Herren Länder deutlich belegen, nur wir sind noch viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt.
Wir haben auch die letzten Kritiker mundtot gemacht, in dem wir auch nach der Niederlage gegen Italien den Frohmut nicht verloren haben und die Begeisterung ungebrochen war im Land, von Rostock bis Traunstein.
In der Bildzeitung liest man Entschuldigungen, an die Adresse von Jürgen Klinsmann, und das Lächeln ist auch drei Tage nach der WM noch nicht aus dem Gesicht des Landes gewichen. Wieso auch?
Man sollte sich ein Beispiel nehmen, an der Begeisterungsfähigkeit, die uns vorgelebt wurde, von Deutschen, für Deutsche, und so die Probleme angehen, jeder einzelne für sich selbst ganz privat als auch in der Politik, um so seinen Zielen näher zu kommen, oder, Gott bewahre, sie gar zu erreichen. Und, und das ist das eigentlich Schöne daran, selbst wenn man mal nicht genau da ankommt wo man eigentlich hinwollte, kann man sagen, ich habe mein Bestes gegeben konnte oder kann das Deutschland ganz allgemein von sich bisher behaupten?
Die Welt hat ein neues Bild von den Deutschen, aber nicht, weil wir uns grundlegend geändert hätten, sondern weil es schon eine Weile her ist, dass sich alle Blicke auf unser Land fokussierten.
Lasst uns dieses neue Bild mit Leben füllen, denn jetzt, wo "die Welt zu Gast bei Freunden" und es "Time to make friends" war, haben wir neue Freundschaften geschlossen und alte erfrischt, und das Schöne an Deutschland für uns selbst neu entdeckt
.
Also, keine neuerlichen Diskussionen über Stolz, Hitler und den moralischen Zeigefinger:
Ich möchte abschließen mit den Worten Ernst Happels, die meine ganz persönliche Sichtweise perfekt illustrieren:
"Ich bin ein Patriot kein Idiot!"