Ich weiß, ich habe Dich verlassen, warum sollte ich also jammern?
Gut und schön. Meine Neue hat sicher im Großen und Ganzen mehr zu bieten als Du.
Gegen sie bist Du ein eher ländlicher Typ, unscheinbar, klein und farblos.
Deine Sprache ist ziemlich primitiv, eine abstruse Mischung aus pfälzisch und hessisch.
Durch Dich habe ich gelernt, dass Alla Tschüß keine Verabschiedung unter Muslimen ist.
Jetzt steht der Name der Neuen in meinem Pass, und Deinen Namen musste ich löschen lassen. Glaub mir, dieser Moment war wirklich schwer für mich!
Mein Freundeskreis ist bei Dir geblieben. Was hätte ich auch anderes erwarten sollen?
Ich bin weit weg von Dir. Neben mir liegt die Neue, schön, verführerisch und gefällig.
Und was mache ich? Ich fühle mich einsam und denke an Dich.
Mir geht es wie Heidi in Frankfurt.
Ich sage es offen: Du bekommst selten Komplimente.
Du hast Deine wunderbaren Reize; man muss sie allerdings erst entdecken. Rhein, Neckar, Luisenpark und natürlich das Schloss mit seinem Schneckenhof.
Mannheim, ich habe Dich verlassen, aber es ist an der Zeit, dass ich Dich mal wieder besuche.
Meine neue Stadt Hamburg wird auch ein paar Tage ohne mich auskommen.
Jetzt hänge ich hier am Fuhlsbüttler Flughafen fest.
Vor mir steht Bahnchef Mehdorn und schimpft Da hätte ich ja gleich den Zug nehmen können.
Das weibliche Bodenpersonal wendet sich tief zerknirscht an uns: Der Ryan-Air-Flug ist leider überbelegt, haben Sie denn einen wichtigen Termin?
Wichtiger Termin? Natürlich habe ich einen wichtigen Termin. In zwei Stunden fängt die Schneckenhoffete in Mannheim an, und ich bin immer noch am Hamburger Flughafen. Eine Welt bricht zusammen.
Ich könnte Ihnen als Ersatz einen Flug in einer Lufthansa-Maschine anbieten, allerdings haben wir nur noch zwei Plätze in der VIP-Klasse. Wenn Sie damit einverstanden wären?
Von mir aus, gebe ich mich großmütig. Aber ohne Aufpreis!
Und keine Abstriche bei den Bonusmeilen, fordert Mehdorn.
Im Flieger.
Oliver Kahn blättert gelangweilt in seiner eigenen Autobiographie. Habs selbst noch nicht richtig gelesen, murmelt er halb entschuldigend.
Geht mir mit meinen Büchern auch immer so, meint Dieter Bohlen drei Sitze vor uns. Als er mich sieht, dreht er sich schnell wieder nach vorne und tut so, als würde er mich nicht erkennen (vergleiche [articlelink27]Der Schneckenhof von A-Z [/articlelink27]).
Die Stewardess spendiert Olli und mir zwei Wodka-Lemon.
Die Vergangenheit kehrt nicht wieder, sagt Olli Kahn. Der Ball von Ronaldo ist drin, drin, drin, für alle Ewigkeit. Daran kann ich nichts mehr ändern.
Und er schlägt mit dem Kopf gegen den Sessel vor sich.
Der darin sitzende Günther Jauch versucht ihn zu beruhigen. Aber Olli, die Zukunft hält so viele Möglichkeiten bereit. Du musst nur wählen. A, B, C oder D.
Ach was soll die Zukunft denn noch bringen, bricht es aus Olli Kahn heraus. Multimillionär bin ich schon längst, ab jetzt kann es nur noch abwärts gehen.
Mach keinen Unsinn, Olli, ruft Hartmut Mehdorn , Du weißt doch, dass Flugzeuge im Gegensatz zur Bahn nur darum so pünktlich sind, weil sich keine Selbstmörder davor schmeißen können, hahaha.
Das klingt ja sehr depressiv, Olli, sagt Johannes Rau von schräg hinten, da muss mal ein Ruck durch dich gehen!
Mir bleibt immer noch das P1 in München, meint Olli hoffnungsvoll und bestellt gleich noch eine Bordrunde Wodka-Lemon.
Kennst Du das P1?, fragt er mich.
Nur aus Illustrierten beim Zahnarzt., antworte ich. Aber ich halte mich lieber an Schneckenhoffeten in Mannheim.
Davon habe ich auch schon gehört, nickt Olli und wendet sich an Günther Jauch. Hat uns Dieter nicht davon erzählt?
Leider, leider, höre ich mich sagen, wohne ich nicht mehr in Mannheim, sondern bin nach Hamburg gezogen. Ab und zu schreibe ich noch Kolumnen für eine Mannheimer Internetseite.
Du musst Mannheim einfach vergessen, sagt Olli und lädt mich ein Komm doch mit uns und feiere ein paar Tage im P1 und in München. Was sagt ihr, Leute?
Ja, stimmt Günther Jauch zu, Du könntest auch Kandidat in meiner Show werden. Kann man sicher was dran deichseln.
"Und ich ... ähm .... ich geb Dir ... 5 Punkte!", schnattert Jeanette dazwischen.
Und wenn Anke Engelke mit der Schmidt-Nachfolge scheitert, kannst du auch eine eigene Show bei uns haben. Mal was anderes, als immer nur Kolumnen zu schreiben, schlägt SAT1-Besitzer Haim Saban vor.
Das klingt nach einer hundertprozentigen Zusage, lacht Günther Jauch.
Und Mehdorn lallt entrüstet durchs Flugzeug: Harald Schmidt! Der einzige Prominente, der noch regelmäßig den Zug nimmt.
Ich überlege kurz und wäge die Prioritäten ab.
Nein, meine ich entschlossen. Das klingt ja alles sehr aufregend. Aber ich gehe heute Abend lieber auf die Schneckenhoffete.
Alle nicken verständnisvoll.
Da kommt schon die Durchsage: In wenigen Minuten überfliegen wir das Rhein-Neckar-Delta. Wir möchten uns bereits jetzt recht herzlich von unseren Fluggästen verabschieden, die über Mannheim aussteigen.
Die Stewardess hilft mir, den Fallschirm anzulegen.
Ich stehe an der Ausstiegsschleuse und die VIPs im Flugzeug rufen mir vielstimmig Gute Reise zu,
Dann gibt mir die Stewardess einen liebevollen Schubs.
Die ersten paar hundert Meter ist es sehr, sehr kalt. (Das ist es immer am Anfang.)
Unter mir sehe ich Lichter.
Der Fallschirm öffnet sich.
Langsam schwebe ich dem Schneckenhof entgegen. Immer näher.
Freundliche Partygäste winken mir zu.
Punktlandung.
Ich schrecke hoch.
In wenigen Minuten erreichen wir Mannheim, sagt die näselnde Mikrofonstimme des Zugchefs.
Was für ein Traum!
Ich sehe aus dem Fenster des ICE. Draußen zieht mein altes Partyleben vorbei.
Zuerst das Hafenstraßenwohnheim (mit seinen legendären Feten), dann sieht man das A5 (meine alte Fakultät), die Mensa und schließlich den Schneckenhof.
Schon schillert das farbige Scheinwerferspektrum aus dem Schneckenhof, höre ich bis hierher die Musik. Donnerstag Abend!
Auf meinem Handydisplay erscheint das Häuschen - ich bin in meiner Homezone angekommen.
Mannheim, ich habe Dich verlassen, aber jetzt bin ich wieder Zuhause., sage ich überglücklich.
Mein Abteilnachbar guckt kurz hinter seiner Zeitung vor. Tja, man sollte nicht leichtfertig aufgeben, was man gerne gemacht hat und wo man gerne war.
Es ist Harald Schmidt.
http://literatur.geschichte-schweiz.ch/johanna-spy ri-heidi.html
http://www.schwarzaufweiss.de/deutschland/hamburg/ altonaer_museum.htm