Der abendländische Teil der Menschheit unterteilt sich in drei verschiedene Gruppen, die sich durch ihr Konsumverhalten an Weihnachten symptomatisch klassifizieren lassen:
Diejenigen, die ihre Weihnachtsgeschenke bereits im Sommerschlussverkauf besorgen, und zwar den Fünferpack Socken mit Diddl-Mäusen.
Diejenigen, die Heiligabend eine Viertelstunde vor Geschäftsschluß noch besonders originelle Geschenke suchen und aus Zeitmangel schließlich doch die Socken direkt neben der Kasse nehmen.
Dann die militanten Weihnachtsbaumhasser, die keine Socken brauchen, weil sie seit 15 Jahren barfuss in Birkenstocks rumlaufen.
Und schließlich diejenigen, die nicht zählen können und sich beim fünften Licht am Adventskranz keinen Reim darauf machen können, was falsch gelaufen sein könnte.
(Entnommen aus der Autobiographie des Rentiers Rudolph Im Banne des Bärtigen.)
Vertreter der erstgenannten Gruppe, die Spitzen der großen drei C-Parteien Deutschlands, der CDU, der CSU und der Realo-Grünen, konnten sich vergangene Woche, auf einem heimlichen Treffen an einem Glühweinstand des Nürnberger Weihnachtsmarktes, auf die generelle Verlegung von Weihnachten auf Wochenenden einigen.
Motto: Arbeitsplätze statt Weihnachtsplätzchen.
Protest gegen diese Pläne zur Errettung Deutschlands regte sich bisher wenig. Nur der Dachverband Deutscher Weihnachtsmänner, Nikoläuse und Osterhasen (DaDeWO) protestierte reflexartig mit schwacher Häme gegen die Politikeraltherrenriege: Leise rieselt der Kalk.
Erstaunlicherweise traten auch liberale Vertreter der Opposition dem Ansinnen scharf entgegen. Die Verlegung von Weihnachten auf Wochenenden sei absolut ineffektiv, da man ja sowieso plane, Samstage, Sonntage und Freitagnachmittage zu regulären Werktagen zu machen.
Im Ernst: Niemand hat die Absicht, Weihnachten abzuschaffen.
Denn was wäre unser Jahresablauf ohne den Meilenstein Weihnachten? Silvester käme viel zu überraschend!
Soviel Erinnerung liegt in den vergangenen Weihnachtsnächten unterm Glitzerbaum vergraben.
Jeder von uns erinnert sich mit Sicherheit an ein besonderes eindrückliches Weihnachten in seiner Kindheit.
An eines der kleinen Weihnachtswunder.
An eines der Weihnachten, da die Spannung in der Familie groß wie nie war und die Konflikte unter der Oberfläche unerträglich brodelten, und man sich nach überstandenem Weihnachtsfest überglücklich und himmelhochjauchzend eingestehen musste: He, ein Wunder. Ein echtes Wunder, dass es nicht zum Familientragödienmassaker kam.
Erinnern wir an die stillen Momente, als alle kein Wort zu sagen wagten, mit dem flauen Gefühl unguter Befürchtungen im Magen. Als Vater zum Kürzen des Weihnachtsbaums die mächtige Axt aus dem Keller holte oder Onkel Fritz das frisch geschärfte Tranchiermesser über der Weihnachtsgans erhob.
Nicht zu vergessen: Ohne Weihnachten keine Leitkultur im Fernsehen.
Wann, außer zu Weihnachten, könnte man die selben abgestandenen Konserven immer wieder aufs gute Neue zusammenrührseligen?
Den kleinen Lord Fauntleroy etwa, der seinen konsequenten Großvater Alec Guiness immer mehr zum Weichei verkommen lässt.
Oder Ebenezer Scrooge (unvergessen: Kermit der Frosch als Scrooges Buchhalter) in den Tausendundein Versionen von Charles Dickens Weihnachtsgeschichte. Scrooge, der den Geistern aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft begegnet. (Beachtlich: 15 Jahre vor H.G. Wells Zeitmaschine!)
Und natürlich Dinner for One mit dem lustigen Stolpern über den Tigerkopf ... upps, das ja die Woche drauf.
Wirklich nicht lustig ist dagegen, wenn in all den Weihnachtsschmalzfilmen die unvermeidliche Szene mit dem armen kleinen Jungen, der auf Krücken über die Herzschmerzgrenze stolpern muss, auf die Tränendrüse drückt.
So was erträgt man wirklich nur zu Weihnachten, wenn man mit der Familie traut zusammensitzt und froh ist, fernzusehen und sich nichts zu sagen zu haben oder sagen zu müssen.
In den Fernsehbildschirmen und den Weihnachtskugeln verzerrt sich unser Bild eines besinnlichen Weihnachten zu Widerspüchen.
Kommerz und Kitsch sind mittlerweile dermaßen unverbrämt und übertrieben, zwischen Lebkuchen im November, Parfümerieverkäuferinnen mit Engelsflügeln und dieser virulenten Flut von aufblasbaren(?) (Hartplastik?) Fassadenklettererweihnachtsmännern, die inzwischen jedes zweite Haus arschentgegenstreckend verschandeln.
Da würden selbst Parzifisten gerne zu Panzerfahrern, um ganze Straßenzüge schnell von diesem Edelekel befreien zu können:
WUMMMMMM - direkt aufs Hinterteil -
putzbröckel
Denn das ist ja wieder hochmodern, das passt zu Weihnachten: Wir dürfen alles machen, wenn wir nur eine noble Gesinnung vorzuweisen haben. Panzerfahren und Kriegführen ist wieder schick, Foltern sowieso.
Unsere kulturgebeutelte Weihnachtsabendgesellschaft leidet an einer Art Stockholm-Syndrom.
Wenn Opfer beginnen aufrichtige Sympathie und Zuneigung gegenüber ihren Peiniger zu empfinden, spricht man vom sogenannten Stockholm-Syndrom. Benannt nach einem Banküberfall mit Geiselnahme im Jahr 1973 in Stockholm.
Kurz gesagt empfindet man natürlich irgendwann mal Dankbarkeit, wenn man von Terroristen zwei Wochen im Schrank eingesperrt und alle drei Tage für fünf Minuten rausgelassen wird.
Dann denkt man sich: Wow, ist mein Entführer nett. Der lässt mich nicht im Schrank verschmoren, sondern ab und zu auch mal raus.
Und Weihnachten ist unser aller Stockholm-Syndrom.
Unsere fünf Minuten im Jahr, in denen wir unseren romantischen Glauben an eine bessere Welt aus dem Schrank lassen und uns wie die Helden fühlen.
Wenn wir den verlorenen Kindern der südamerikanischen Bananenpflücker einen Bruchteil unseres Ausbeuterprofits zurückspenden.
Wir bekommen billige Bananen und sie Brot für die Welt.
Ich gestehe: Ich mag Weihnachten nicht. Denn ich bringe es nicht fertig auch nur für einen oder zwei Tage im Jahr auf gut umzuschalten.
Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Wer einmal auf der Überholspur ist, wechselt nur ungern auf die rechte zurück. Aber wir blinken um so lieber und tun so als wollten wir.
Für die Leser, die es irgendwie mit der Religion halten, noch ein Bibelzitat (schon wieder).
«Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr hindurchgehe, als dass ein Reicher in das Himmelreich eingehe» (Matthäus 19,24).
Und glaubt mir: Ihr seid reich.
Das ist der Pferdefuß, der unterm Weihnachtsmantel vorlugt und stark nach Schwefel, statt nach Weihrauch riecht.
Hoffen wir also, dass Weihnachten nur eine überdrehte Kommerzveranstaltung ist und der christliche Hintergrund reine Erfindung ist.
Denn sonst und wenn die Bibel recht hat sehen wir uns alle eines Tages an einem ganz bestimmten Ort wieder. Und dann wird es heiß.
Verdammt heiß.
Was wollte ich noch sagen?
Ach ja: Frohe s neues Jahr !
das ganze jahr ein arschloch und dann für einen tag
beginnt ihr euch zu lieben, dass ich es nicht ertrag
...
ihr wollt doch nur besitzen, und auch das größte schwein
sehnt sich nach einem liebsten, und ist nicht gern allein
ihr schimpft auf all die kinder, die nie zufrieden sind
ihr flucht auf all den reichtum, den man durch euch verdient
ihr sagt, ihr wäret glücklich mit einem leeren sack
ich lass mich nicht verarschen von euch verlog'nem pack
(Knorkator, "Weihnachtsschimpfe", Album Hasenchartbreaker)